Ralf
Wendling
Essay
Augenblicke
in der Natur
Ein
Mensch
Gütige,
große braune Augen. Ein silber-weißer Bart, der ein freundliches Gesicht
umrahmt.
Patrick
hat uns eine Tüte voller Lebensmittel gebracht. Einfach so. Ohne viele Worte:
“Pour vous“.
Der
Kühlschrank ist seit Tagen nahezu leer. Ein Stück Käse, etwas Butter. Das
letzte Mehl zu einem Brot verarbeitet. Das wenige Hundefutter mit Nudeln
gestreckt. Heu für die Pferde? – Es ist keines mehr da. Luzerne, mit Stroh
gemischt, bildet den Ersatz.
Trinkwasser
holen wir von einer Quelle im Ort. Das Heizöl, ein Rest vom Vorbewohner
zurückgelassen, ist fast verbraucht. Wir nehmen es eh nur zum Duschen. Das Gas
für den Herd ist zu Ende. Der Tank unseres Autos auf Reserve.
Ich
habe noch einige Cent im Portemonnaie. Doch ein geldgieriger, schottischer
Multimillionär (scottish multimillionaire), der in seinem Privatjet um die Welt fliegt, verfolgt uns wegen
einiger Euros, die wir ihm angeblich schulden, unbarmherzig.
Nur
das Vertrauen, der Glaube an uns und unser Projekt sowie die Dankbarkeit für
die Menschen, die geben, lässt uns noch lächeln.
Patrick
lächelt auch. Er gibt uns Nudeln, Milch, Konserven, Zwieback – und ein Säckchen
Hundefutter. Er lebt, unweit von uns in einem winzigen Appartement mit seinen
vier Hunden.
Ich
sah ihn. Eines Morgens. Er führte seine vierbeinigen Freunde an der Leine durch
Pousthomy. Ich war auf dem Weg zur Quelle, sprach ihn wegen der Hunde an, die
mich freundlich-wedelnd begrüßten. Ich spürte: „Der Mensch hat was“ – wir
verstanden uns sofort.
Er
erhält Sozialhilfe und hat einen Berechtigungsschein für das Restaurant du
Coeur.
Ich
selbst bin dort seit dem 24.12.2012 aktiv. Als „Benevol“. Ein Nachbar sagte
mir, dort gäbe es etwas zu tun. Es ist eine gemeinnützige Einrichtung, eine
Institution, gegründet von dem Künstler „Coluche“; man ist auf Spenden
angewiesen und gibt den Bedürftigen Lebens- und Körperpflegemittel. Für mich
bedeutet diese „Arbeit“: Raus aus dem Einerlei – aktiv sein – helfen.
Am
nächsten Tag steht Patrick mit seinem Anhänger vor der Tür und hat Heu für
unsere Pferde dabei. Duftendes, leckeres, gutes Heu. Wir sind sehr dankbar.
Ein
wenig Geld erhalten wir von unseren Eltern. Wir laden Patrick zum Abendessen
ein. Erfreut nimmt er an. Und erzählt. Von seinem wechselvollen Leben, seiner
Sehnsucht, seinem Buch, an dem er schreibt. Ein Buch, das von der Natur, der
Liebe und dem Sinn des Lebens handelt. Er liest uns daraus vor. Und, obwohl wir
die lyrische französische Sprache nur schwer verstehen, erfassen wir doch seine
Gefühlswelt. Ja, gefühlvolle Zeilen, intensiv.
Zum
Glück können wir diesem Menschen, außer unserer Aufmerksamkeit und der
Zuneigung, die wir ihm sofort entgegenbringen, auch etwas „happtisches“ geben.
Bettina
richtet ihm eine email-Adresse und einige andere Dinge auf seinem Computer ein.
Er ist Internet-Neuling.
Ich
begleite ihn auf seinem Hunde-Promenade und zeige ihm die üppigen
Zitronen-Thymian und Pimpinelle- Bestände, die an den roten Sandsteinhängen des
Rouerge gedeihen. Er hatte sich das Fussgelenk gebrochen und ich kann ihm
einige Tipps für Körper-Geist-Seele zur Aktivierung seiner Selbstheilungskräfte
geben.
Patrick
bedankt sich vielmals.
Zwei
Tage später, es ist Abend. Die Türglocke wird energisch geläutet.
Patrick
steht da, mit drei großen Plastiktüten voller Lebensmittel – und Hundefutter.
Alle
Worte hierfür erübrigen sich, als ich in sein gütiges Gesicht blicke.
Ich
sage nur zu ihm, dass ich ihm das NIE vergessen werde. Die Botschaft kommt an.
Ich
backe ein Brot. Das erste Mal direkt im eisernen Holzofen. Auf meiner
Silberquarzitplatte. In der Glut.
Das
duftet. Und schmeckt. Ich teile es in drei Stücke. Eines für Patrick, eines für
Michaela & Marcel, die uns schon so viel gegeben haben. Ich packe für sie
eine Tüte voller Lebensmittel, denn Patrick hat es sehr gut mit uns gemeint.
Ihm bringe ich das Brot und den Beiden die Tüte in ihr Häuschen im Wald.
Diese
Augenblicke, diese Situationen prägen. Zu geben, ohne etwas dafür zu erwarten.
Die Dankbarkeit zu fühlen, das Erlebnis von Freude und Wärme.
Die
Reiseetappe „Pousthomy“ wird somit zu einem prägnanten Ort von Werten und
Vertrauen.
Patrick
möchte am nächsten Morgen seinen Hänger abholen. Er will uns Heu besorgen. Am
Abend steht der Hänger vor unserem Haus, mit 16 Quadern wundervollen Heus. Er
sagt zu Bettina nur „Cadeau“, also Geschenk, lächelt sein Lächeln und geht.
Es
ist der 15. Januar, ein Tag vor dem starken Wintereinbruch und tiefem Schnee.
An Zufälle glaube ich schon lange nicht mehr… .
Am
Donnerstag bin ich wieder Benevol. Und Patrick fährt mich. Er holt heute seine
Lebensmittel vom Restaurant du Coeur. So schauen wir uns an. Er vor der Theke -und
ich dahinter. Es könnte auch umgekehrt sein.
Egal.
Danach
haben wir einen Termin mit der Sozialstation in St. Affrique. Irgendwo, so sage
ich mir, wenn es schon keine bezahlte Arbeit gibt und auch die Menschen, die
eigentlich „genug“ Geld haben, für uns nichts übrig haben, müssen wir Geld
herbekommen. Patrick schildert unsere Situation. Die Mitarbeiter sind entsetzt,
ob der unfassbaren Methoden, mit denen der Multimillionär uns verfolgt.
Sie
hören Patrick zu. Eine Chance… .
Später
geht´s zum Intermarché. Wir kaufen ein. Er sagt: „Nimm, was Du brauchst“. – Ich
erwidere scherzhaft: „Ich nehme alles…“ und er: „Das Risiko gehe ich ein!“
Grandios. Heute ist der 17.Januar 2013.
Der
Schnee bedeckt das Land. Wir leben. Und blicken auf Morgen.